Denis Scheck: Druckfrisch in der Buchhandlung Weiland

Literaturkritiker stellt empfehlenswerte Neuerscheinungen des Buchmarktes vor

15. November 2010, von
Denis Scheck: Druckfrisch in der Universitätsbuchhandlung Weiland in Rostock
Denis Scheck: Druckfrisch in der Universitätsbuchhandlung Weiland in Rostock

Was man für einen gelungenen Sonntagabend benötigt? Nicht viel: einen Mann, einen Koffer voller Bücher und ein trockenes Plätzchen. Zumindest, wenn der Mann Denis Scheck heißt und – wie man es von ihm gewohnt ist – eine bunte Auswahl zeitgenössischer Literatur in seinem Reisegepäck dabei hat.

Wer den Literaturredakteur und Moderator der ARD-Sendung „druckfrisch“ kennt, weiß, dass dieser auch gern mal vor dem einen oder anderen literarischen Sondermüll warnt. Und so begann Denis Scheck den Abend mit Büchern, die die Welt nicht braucht. Bücher aus dem „Doofel“-Regal, wie sie den Giftschrank in Gedenken an „Moppel-Ich“ & Co. zärtlich nennen.

Peter Hahne: Schluss mit lustig
Peter Hahne: Schluss mit lustig

Der Höhepunkt des Schwachsinns ist für den Kritiker bei Werken wie Peter Hahnes „Schluss mit lustig!: Das Ende der Spaßgesellschaft“ erreicht. Nicht etwa, weil Hahne beim ZDF arbeite oder politisch woanders stehe als er selbst, sondern weil Hahne seine Gegner mit sprachkritischen Argumenten angreife.

Wer das tut, dem sollten keine Sätze unterlaufen, wie „Jetzt bezahlen wir die Quittung.“ Im Deutschen bezahlen wir schließlich immer noch die Rechnung. Und nein, „Menschen flogen durch die Luft wie Vögel“ sei keine treffende Beschreibung für die Ereignisse des 11. Septembers 2001. Das Problem ist doch vielmehr, dass wir eben nicht wie Vögel fliegen können.

Eva-Maria Zurhorst: Liebe dich selbst
Eva-Maria Zurhorst: Liebe dich selbst

Sachbücher, die alle nach derselben Jahrmarktsformel „Nüchtern durch mehr Saufen“ gestrickt sind, haben es ihm besonders angetan. Überhaupt könne man den Deutschen zwischen zwei Sachbuchtextdeckeln scheinbar jeden noch so großen Bären aufbinden. „Stellen Sie sich vor: Es ist Frühjahr 1945, Sie sind Eva Braun und Sie lesen gerade ‚Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest‘. – Nein, es ist nicht egal, wen Sie heiraten!“

Für Scheck nach wie vor nicht zu toppen, ist aber „The Secret“ von Rhonda Byrne. Wenn man etwas ganz fest haben oder sein möchte, muss man sich einfach nur vorstellen, dass man es schon hätte oder sei – schon würde es einem zufallen. So laute – stark vereinfacht zumindest – das Urgesetz unserer Existenz, das Byrne beschreibt. „Ich wache jeden Morgen auf und stelle mir ganz fest vor, dass ich ein ranker, schlanker Jüngling mit lockigem Haar und eng anliegenden Ohren bin – Sie sehen, es funktioniert!“

Doch nun zu den Empfehlungen des Abends oder zumindest einem ganz kleinen Teil davon.

Warum Denis Scheck lieber badet als duscht? Richtig, ein Buch mit unter die Dusche zu nehmen, wäre in der Tat eine schlechte Idee. Zumindest die ersten und letzten zehn Minuten eines Tages möchte er ganz für sich haben, da möchte er etwas lesen.

Märchen aus aller Welt
Märchen aus aller Welt

Was dafür am besten geeignet ist? Märchen. „Ich lese schrecklich gern Märchen“, bekennt Scheck. Als Beispiel gab er das russische Märchen „Die endlose Geschichte vom Storch und von der Rohrdommel“ zum Besten.

Knappe fünf Minuten – so viel Zeit sollte wirklich jeder für Literatur übrig haben. Kann man sich doch nicht nur um Dosenpfand und Mehrwertsteuer Gedanken machen, so Scheck. „Ich muss und möchte aus meiner Haut fahren und in das Gefieder einer Rohrdommel mit Heiratssorgen.“

Das schönste Geschenk, das man sich machen kann, seien die von Nikolaus Heidelbach fantastisch illustrierten Märchensammlungen. Nach den Gebrüdern Grimm und Hans Christian Andersen hat der Illustrator nun die von Hans-Joachim Gelberg zusammengetragenen „Märchen aus aller Welt“ gestaltet.

Die Radleys von Matt Haig
Die Radleys von Matt Haig

Vampirromane? Gab es gestern auch. „Die Radleys“ von Matt Haig wären auf jeden Fall einen Blick wert, so Scheck. Eine Vampirfamilie, die in Südengland lebt und ein wenig anders ist, leben sie doch abstinent, sind also die Vegetarier unter den Vampiren. Das geht gut, bis der in dieser Tradition erzogenen Tochter der Familie eines Tages eine Leiche zu Füßen liegt …

„Solar“ von Ian McEwan, „Freiheit“ von Jonathan Franzen und „JR“ von William Gaddis seien an dieser Stelle erwähnt, um drei weitere Tipps im Schnelldurchlauf abzuhandeln.

Arthur Bremer: Die Welt in 100 Jahren
Arthur Bremer: Die Welt in 100 Jahren

Wie die Welt in 100 Jahren aussieht? Eine interessante Frage. Noch interessanter, wenn diese Frage 1910 gestellt wurde und wir jetzt, 100 Jahre später, lesen können, wie unsere Vorfahren sich unsere Gegenwart vorgestellt haben.

1910 hat der Journalist Arthur Bremer in „Die Welt in 100 Jahren“ Prognosen über die Zukunft zusammengestellt – geschrieben von Experten verschiedener Bereiche. Dass Handys bereits 1928 bekannt waren, wissen wir ja, seit kürzlich eine telefonierende Zeitreisende im Charlie-Chaplin-Film „The Circus“ entdeckt wurde. Vorausgesagt wurde diese Erfindung aber mindestens schon 18 Jahre vorher und auch sonst gibt es einige erstaunliche Voraussagen – lesenswert!

Wer denkt, dass ein Literaturkritiker nichts für Comics übrig hätte, hat sich getäuscht. Gleich mehrere Empfehlungen hatte Denis Scheck im Gepäck.

Blotch - Der König von Paris
Blotch - Der König von Paris

„Blotch – der König von Paris“ lebt Mitte und Ende der dreißiger Jahre in Paris und verkörpert die Werte und Tugenden des wahren französischen Geistes. Im Dienste der fiktiven Satirezeitschrift „Fluide Glacial“ hat er Umgang mit Künstlern wie Picasso oder Dali, verkennt aber alle.

Er ist Künstler oder hält sich zumindest dafür, ist aber eigentlich das „Ressentiment auf zwei Beinen“. Blotch verkörpert die miesesten Vorurteile seiner Zeit. Für Scheck eine der ganz großen Künstlersatiren, die zeigen, dass man „Künstler sein kann und dennoch ein mieses, borniertes Arschloch.“

Ralf König: Antityp
Ralf König: Antityp

Ralf König („Der bewegte Mann“) hat nach der schwulen Kultur ein neues Themenfeld für sich entdeckt: die Religion. Nach der Schöpfungsgeschichte („Prototyp“), Noah und der Sintflut („Archetyp“) schließt er nun in „Antityp“ seine Religionstrilogie ab – mit dem Heilgen Paulus, der gleich zu Beginn vom Pferd und auf den Kopf gefallen ist und sich nun Saulus nennt.

„Es ist wahnsinnig unfair, es ist blasphemisch, es ist antichristlich und es ist das Lustigste, Unterhaltsamste und schlichtweg Klügste und Überfälligste, was man zwischen zwei Buchdeckeln nur lesen kann“, lautet das Fazit von Scheck.

Denis Scheck bei Weiland Rostock
Denis Scheck bei Weiland Rostock

Bereits zum vierten Mal luden die Universitätsbuchhandlung Weiland und das Literaturhaus Rostock zu „Druckfrisch“ ein. „Sie waren im Vorverkauf so zögerlich“, freute sich Filialleiter Florian Rieger über den großen Zuspruch, „dass wir uns gar nicht getraut haben, mehr als 100 Stühle aufzustellen.“ 120 Gäste kamen gestern, vor vier Jahren waren es noch 40.

Beachtliche 54 Titel umfasst die aktuelle Bücherliste von Denis Scheck. Wer den „Literaturkritiker aus Leidenschaft“ verpasst hat, findet in dieser Woche bei Weiland einen Büchertisch mit seinen Empfehlungen.

Wobei man sich jedoch von niemandem einreden lassen solle, was man unbedingt zu lesen hätte. „Sie sind mündige Leser“, gab Denis Scheck den Zuhörern zum Abschluss mit auf den Weg, „vertrauen Sie auf Ihren eigenen gesunden Menschenverstand.“ Von den 90.000 Neuerscheinungen des Jahres würden dann gar nicht mehr so viele übrig bleiben.

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