Harry Rowohlt - Lesung im Literaturhaus
Von Whiskey, Zigaretten, Lena, dem Papst, St. Pauli und Mr. Gum
5. Juni 2010, von Olaf
„Nacht der Amateure“, so heiße die Silvesternacht unter uns Profitrinkern, erklärte Harry Rowohlt zu Beginn seiner Lesung im Literaturhaus Rostock.
Doch mit dem Alkohol hat er es nicht mehr so, der „Ambassador of Irish Whiskey“. Statt Whiskey steht eine Wasserflasche auf dem Tisch. Polyneuropathie zwinge ihn zu einer gewissen Enthaltsamkeit, aber viermal pro Jahr dürfe er sich noch gepflegt die Kante geben, so sein Arzt – „ich bin schon überfällig.“
Wann man überhaupt betrunken ist? „Wenn man nicht mehr ohne fremde Hilfe auf dem Rücken liegen kann“, so eine irische Faustregel.
Einem Laster frönt er aber noch, dem Rauchen. Wobei er als Raucher das allgemeine Rauchverbot durchaus begrüße, wie Rowohlt verriet. „Früher musste man auf Feten stundenlang ermitteln, wer die Netten und die Klugen sind. Jetzt geht man vor die Tür.“
Harry Rowohlt (65) – Übersetzer, Kolumnist, Autor, Schauspieler und wohl einer der begnadetstes Rezitatoren unserer Zeit.
Viele junge, angehende Autoren würden ihn immer wieder nach Tipps fragen, um veröffentlicht zu werden. „Machen Sie’s wie ich. Ich schreibe nur auf Bestellung und brauche mir dann um die Veröffentlichung keine Sorgen zu machen.“ Nachteil der Geschichte? Man habe kaum unveröffentlichtes Material für die Lesungen, worüber sich erst kürzlich ein junger Mann bei einer Veranstaltung beschwert hätte.
Heute hatte er jedoch etwas dabei. Ganz zufällig sei es noch unveröffentlicht, verriet Rowohlt, da der Verlag vergessen hat, das Buch beim Zwischenhändler anzumelden. „Dass man seine Bücher ungern los wird“, sei schon eine komische Verlagspolitik, aber er könne es verstehen, denn es sei ein „wirklich schönes Buch“.
„Sie sind ein schlechter Mensch, Mr. Gum!“, so der Titel des Kinderbuchs von Andy Stanton, das Rowohlt übersetzt hat. Eigentlich hieße es ja „Herr Gum“, aber das Buch solle auch verfilmt werden. Und „Mister“ lippensynchron mit „Herr“ zu übersetzen, „das sieht nicht aus“, wie der Hamburger zu sagen pflegt.

„Er war der komplette Horror. Und er hasste Kinder, Tiere, Spaß und Maiskolben mit Butter und Salz.“
Was er hingegen liebte, dieser Mr. Gum? Den ganzen Tag im Bett herum zu dösen, einsam zu sein, Sachen grimmig anzusehen, in der Nase zu bohren und die Popel zu essen. – „Ich finde das ganz gut, dass das ausgerechnet in einem Kinderbuch thematisiert wird“, scherzte Rowohlt.
Das Haus von Mr. Gum? Völlig verkommen. Überall Müll und Dreck, das Schlafzimmer war eine einzige Sauerei und in den Küchenschränken wohnten Insekten – „richtig große und jedes Insekt hatte ein Gesicht und einen Namen – und einen Beruf.“
Sein Garten jedoch war „der hübscheste, grünlichste, geblümteste, gartenartigste Garten“ im ganzen Ort. Wie ganz erstaunlich der Garten war? „Denk Dir eine Zahl zwischen eins und zehn, multipliziere diese Zahl mit fünf, addiere zu der Zahl 350, ziehe 11 ab, wirf all diese Zahlen weg und stell Dir einen ganz erstaunlichen Garten vor!“

Wenn jemand behauptet, er sei in einer Lesung gar nicht mehr aus dem Lachen herausgekommen, war er bei Rowohlt. Oder er war noch nie bei Rowohlt – und lügt. Die Lachmuskeln des Publikums wurden an diesem Abend wirklich strapaziert.
Warum der Garten von Mr. Gum so hübsch, grünlich, geblümt und gartenartig war bei dem verkommen Haus? „Weil sonst eine ärgerliche Fee in seiner Badewanne erschienen wäre und ihn mit einer Bratpfanne gehauen hätte. Du siehst, es gibt immer eine ganz simple Erklärung für Sachen.“
Beim Übersetzen der Figur „Martin Münzwäscherei, der eine Münzwäscherei betrieb“ wurde Rowohlt schlagartig klar, warum ihn so viele fragen, weshalb er nicht den Rowohlt-Verlag leite. Klar, wenn man so heißt …
Tolle Figuren, die bildlichste Bildsprache und, so verriet uns Rowohlt, Andy Stanton sei auch ein Freund des geglückten Vergleichs. „Er sauste aus dem Bett wie eine schuldbewusste Zwiebel“ sei eines dieser Bildnisse. „Vergleichen muss man können“, so Rowohlt.
Was passiert, als eines Tages ein Hund auftaucht und den Garten von Mr. Gum beim Spielen verwüstet? Buch kaufen und lesen! „Any minute now“ müsste es erscheinen und dürfte für die Eltern mindestens genauso lesenswert sein wie für die Kleinen.

Kolumnen, Briefe, Anekdoten und Witze füllten den zweiten Teil des „Paganini der Abschweifungen“, wie ihn einst die Kieler Nachrichten nannten.
„Polen 1941. Ein Hitlerjunge schlägt einen bereits erwachsenen jungen Polen zusammen, nimmt ihn dann noch mal unter die Füße und drischt mit seinem Karabiner auf ihn ein, bis der Pole fleht: ‚Nicht, nicht weiter peinigen, ich werd’ doch einst der Papst.‘ Sagt der Hitlerjunge: ‚Und i werd dei Nachfolger.‘“
Neben dem Papst reichte das Spektrum von Robert Gernhardt, über die „Backwarenfachverkäuferin, rassiger Klopfer mit ansehnlichem Migrationshintergrund“, unsere neue Nationalheldin Lena, die anfangs Oslo noch in Finnland vermutet hat („Dafür kriegt man halt in Hannover Abitur.“), bis zum Fußball: „Ich weiß nicht, ob ich es gut finden soll, dass Pauli jetzt aufgestiegen ist. Auf die Weise brauchen wir uns wenigstens ein Jahr nicht mit den Hansa-Fans rumzuschlagen. Na ja, nur ein Jahr lang.“
Ein brillanter Rowohlt, 180 Minuten Spaß, Lacher auf Lacher, ein begeistertes Publikum und als „unverlangte Zugabe“ noch vier Gedichte – was möchte man mehr?
Spaßig weiter geht es im Literaturhaus bereits am kommenden Donnerstag (10. Juni). In der „Nacht der schnellen Nummern“ lesen ab 19:30 Uhr vier Autoren der berüchtigten taz-Wahrheit-Seite.