Kristof Magnussons „Zuhause“ am Volkstheater
Theater im Stadthafen – eine Einführung in „Zuhause“
27. April 2010, von Olaf
„Du bist tot. Du bist im Einwohnerverzeichnis als tot eingetragen“, erklärt ihm sein Gegenüber in der Videothek und damit ist für Larus nichts mehr so, wie es einmal war. Eine Szene aus Kristof Magnussons Debüt-Roman „Zuhause“, der am Freitag seine Uraufführung am Volkstheater Rostock erlebt.
Ein Unglück kommt selten allein und manchmal gesellt sich auch noch Pech hinzu. Und so geht alles schief, als Larus Weihnachten nach Island zurückkehrt, um mit alten Freunden zu feiern. Sein Freund hat sich von ihm getrennt und ist gar nicht erst aus Hamburg mitgekommen. Er fängt eine Kiste auf und zieht sich dabei Hämatome an beiden Armen zu. Er bekommt eine aufs Auge, wird in eine Messerstecherei verwickelt, springt aus einem fahrenden Auto, bricht sich den Fuß und verliert zuletzt auch noch seinen Ringfinger. Ein Thriller entwickelt sich. Ein wenig Liebe dazu, etwas Geschichte und eine Familiensaga – fertig ist der spannnende Stoff für einen Roman, aber auch für ein Theaterstück?
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Erste Überraschung gestern im Foyer des Theaters im Stadthafen: Ist das voll hier! So gut besucht dürfte das Foyer zum letzten Mal beim Filmfestival FiSH gewesen sein. Beim Vorspiel am Montag ist die Besucherzahl hingegen meist gut überschaubar. Gestern jedoch lauter junge Leute dort – fast schon unheimlich! Wie sich herausstellte, sind die meisten Zuschauer Teilnehmer eines Seminars von Professor Lutz Hagestedt.
Im Rahmen eines Studienseminars ins Theater zu gehen, klingt so schlecht auch wieder nicht. Drei Projekte machen das Seminar aus, so Hagestedt. Der Besuch der Inszenierung von „Zuhause“, gemeinsam Goethes Werther anzuschauen und schließlich „Die Welle“ von Tod Strasser (aka Morton Rhue) selbst zu inszenieren. Zur Aufführung bin ich hoffentlich eingeladen!?
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Nach drei erfolgreichen Dramen nun der erste Roman des Deutsch-Isländers Magnusson. Von der Dramatik zur Prosa? Für Kristof Magnusson lag es auf der Hand. Wenn er fürs Theater schreibt, habe er immer den „Gruppenprozess“ im Hinterkopf. „Bei jedem Satz habe ich gedacht, was denkt darüber jetzt ein Dramaturg, ein Intendant, ein Regisseur, ein Schauspieler oder ein Kritiker.“ Leise Nuancen, Subtilität seien dabei manchmal einfach auf der Strecke geblieben. Beim Schreiben von Prosa würde er hingegen an den einzelnen Leser denken, „eine grundsätzlich andere Haltung beim Schreiben“, so Magnusson.
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Darf man Prosa inszenieren? Geht dabei viel verloren oder kann man vielleicht gar auch etwas hinzugewinnen? Als Literaturwissenschaftler habe man da einen sehr engen Horizont, so Hagestedt: „Natürlich darf man das nicht!“
Außerdem wäre es ganz unmöglich, diesen Roman auf die Bühne zu bringen. Eine Fülle von Personen, ständige Ortswechsel, der isländische Regen, Gletscher …
Inspiriert von dem Roman, sei es mit der Inszenierung ein anderer Text geworden. Durchaus nach Magnussons Vorlage, mit seinen hinreißenden, tragenden Dialogen, aber doch ein anderer Text. „Ich vermisse überhaupt nichts“, so Hagestedt und dann dürfe man das durchaus.
Hinzugewinnen könne man im Theater ebenfalls. Beispielsweise, indem man die nicht nur ihm weitgehend unbekannte Musik, auf die im Roman öfter angespielt wird, auf die Bühne bringt, so Hagestedt. Eine Chance, das Umfeld der Protagonisten zu veranschaulichen, das stylishe Reykjavík zu verdeutlichen.
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Wie man an die szenische Umsetzung einer solchen Romanvorlage herangehe, wollte Moderator Marc Steinbach vom Regisseur Ronny Jakubaschk wissen.
Die Hauptaufgabe wäre, die „Gewichtung zu verschieben“, erläutert Jakubaschk. Mehr als 60 Prozent des Buches seien ‚Regieanweisungen‘: Landschaftsbeschreibungen, Situationsbeschreibungen, Vorgangsbeschreibungen. Der Rest sei ‚Figurensprache‘ – diese Dialoge in den Vordergrund zu holen, sei eine Aufgabe gewesen.
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Eine zweite Schwierigkeit sei, sich auf eine Auswahl der Figuren zu beschränken. In einem Prosastück gibt es Platz für unendlich viele Figuren – Nebenfiguren, kleine Episodenfiguren, die man so nicht auf die Bühne bringen kann. Es gibt im Stück zwei Schauspieler, die am gesamten Abend nur eine Figur spielen. Drei Schauspieler der Bühnenfassung schlüpfen in verschiedene Rollen.
Und eine Sache, die man im Theater gar nicht gut hinbekommt, so Jakubaschk, seien Verletzungen: „Kunstblut-Quatsch, der mir nicht gefällt, der mich nicht überzeugt.“ Aus diesem Grund werden in der Inszenierung an jenen Stellen sogar Videoanimationen (Carlo Siegfried) eingespielt.
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Wie viel Autobiografisches in der Hauptfigur Larus stecke, lautete eine Frage aus dem Publikum. Praktisch nichts, versichert der Autor. Allerdings hätte er sich erst kürzlich während einer Lesung bei genau dieser Antwort dabei erwischt, dass er die gleiche Zigarettenmarke rauchte und den gleichen Mantel trug wie sein Protagonist. Aber hey, hob Magnusson demonstrativ die Hände: „Ich habe noch alle zehn Finger!“
Wie Kristof Magnusson schreiben würde, interessierte das Publikum – frei von der Hand oder nach einer Liste stilistischer Mittel, die er einbauen wolle. „Einerseits eine sehr wichtige Frage“, so Magnusson, „auf der anderen Seite ganz egal.“
Ihm werde da zu viel hineininterpretiert. Ein „Interpretationsbrühwürfel“, aus dem die Suppe, der Roman, gekocht werde. Wenn die Literaturwissenschaftler die Suppe dann einkochen, müsse für sie wieder derselbe Brühwürfel herauskommen.
Viele Deutschlehrer machen das leider immer noch falsch, befand der Autor. Ihm erging es in der Schule nicht anders. Interpretationen müssen nicht das sein, was der Autor sich gedacht habe. Ein richtig oder falsch gäbe es da nicht. Interpretationen können ein Werk vielmehr bereichern. „Es kann mir egal sein, was der Autor wollte. Das Werk ist das, was zählt.“
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Jemand (Heiner Müller) hat mal gesagt, dass „der Text immer klüger sei als der Autor“, eröffnete Hagestedt einen kleinen Schlagabtausch, „eine prima These“. Nachdenkliches Stirnrunzeln bei Magnusson: „Ich bin gerade die Autoren im Kopf durchgegangen, die ich so kenne. Aber prinzipiell stimmt das.“ „Außer bei Literaturwissenschaftlern“, ergänzt Hagestedt augenzwinkernd. „Richtig“, zieht Magnusson sein Ass aus dem Ärmel, „da können die Texte gar nicht so klug sein wie die Autoren“.
Ob seine Bücher bereits ins Isländische übertragen wurden und er da jetzt schon berühmt sei? „Zuhause“ sei witzigerweise nie übersetzt worden, so Magnusson. Bei gerade mal 320.000 Einwohnern werden aber überhaupt nur sehr wenige Bücher aus dem Deutschen übersetzt. Im letzten Jahr waren es ein Roman von Siegfried Lenz und „Feuchtgebiete“ – aha …
Sein Theaterstück „Männerhort“ gibt es aber auf isländisch und es sei dort gelaufen. „Vielleicht sollten wir das Theaterstück auf isländisch übersetzen“, hatte Marc Steinbach die Idee des Abends. Ein Gastspiel? Tolle Idee, so Magnusson, „wenn wir das Sofa nach Reykjavík bekommen“ – wohl das kleinste Problem.
Erst das Buch lesen oder erst das Stück anschauen? Für die meisten Gäste dürfte sich diese Frage gestern Abend kaum gestellt haben. Sollten sie als Seminarteilnehmer von Prof. Hagestedt doch längst in das Buch geschaut haben. Ich hingegen habe noch die Qual der Wahl.
Regisseur Ronny Jakubasck drückte es folgendermaßen aus: „Ich würde vorschlagen, erst die Buddenbrooks zu lesen und dann die eineinhalbstündige neue Verfilmung zu sehen.“ Bis zur Premiere am Freitag bleiben ja noch ein paar Tage. Jakubasch hat das Buch in einer Nacht verschlungen. Vielleicht kann ich das toppen und schaffe es sogar in zwei.
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Für alle, die das Buch schon kennen, gab es noch die Frage, ob jemand Angst davor hätte, von der Inszenierung enttäuscht zu werden. „Ich hätte mir auch Kristof Magnusson ganz anders vorgestellt“, hieß es da aus dem Publikum. Oh, oh, da geht es also schon beim Autor los mit den Enttäuschungen – ein wenig Spaß muss ja auch mal erlaubt sein.
Hält das Stück, was der gestrige Abend versprach, kann man es wohl bedenkenlos besuchen. Ein wenig sputen sollte man sich allerdings schon, gab Marc Steinbach zu bedenken, gibt es doch nur ganze fünf Spieltermine im Mai. In der nächsten Spielzeit wird es wohl leider keine Neuauflage geben – also los, Premiere ist am Freitag (30. April) um 20 Uhr.