7. Rostocker „Lange Nacht der Wissenschaften“
Unterwegs auf den Pfaden des Wissens – ein Erlebnisbericht
30. April 2010, von Katrin
Hier begann gestern meine Tour durch die siebente „Lange Nacht der Wissenschaften“. Das Marine Science Center befindet sich im Yachthafen Rostock Hohe Düne an der Ostmole. Drei Stationen wollte ich besuchen. In der gesamten Region Rostock hatten wissenschaftliche Einrichtungen ab 18:00 Uhr zu Vorträgen, Präsentationen und Schauvorlesungen eingeladen.
Im Robbenforschungszentrum des Instituts für Biowissenschaften, auf dem Sonnendeck des ehemaligen Fahrgastschiffes LICHTENBERG herrschte reges Treiben. Viele Rostocker nutzten die Gelegenheit, um den Forschern bei ihrer Arbeit mit den Robben einmal über die Schultern zu schauen.
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Zunächst beschäftigte sich Dipl. Biologin Nele Gläser mit den Tieren. In einem abgetrennten Bereich der Station ließ sie alle ihre Schützlinge nebeneinander antreten oder besser anschwimmen. Zur Belohnung bekam ein jedes Meeresgeschöpf einen leckeren Happen Fisch zugeteilt. Dann entschwand eines auf ihr Geheiß hin in das große Becken. Das war der 2002 geborene „Luca“. Drollig sind sie ja alle, diese glitschigen Gesellen, mit ihren knopfrunden Augen, dachte ich.
Da wurde ich schon Zeuge eines beeindruckenden Experiments. „Luca“ hängte seinen Kopf in einen Ring, der an einer Schnur kurz über der Wasseroberfläche baumelte. Davor befand sich eine Art Schautafel mit drei Fenstern. Nele Gläser öffnete nun als Erstes das mittlere der Fenster und ein Symbol erschien darin. Dann öffnete sie die äußeren Fenster und 2 weitere Symbole waren zu sehen. Von diesen suchte sich „Luca“ eines aus, schwamm darauf zu und berührte es mit der Schnauze. Daraufhin ertönte ein Pfiff aus der Pfeife der Biologin und ein kleiner Fischhappen flog durch das Fenster.
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Später erfuhr ich von einer Studentin, dass „Luca“ das zunächst im mittleren Fenster gezeigte Symbol in einem der zwei äußeren Fenster erkennen sollte. Allerdings erschiene dieses Symbol dort dann stets in gedrehter Form. Das war selbst für mich ziemlich schwierig. Doch „Luca“ schaffte das innerhalb weniger Sekunden. Mittels dieses Experiments wollen die Forscher herausfinden, wie sich Robben unter Wasser orientieren und ob sie dieselben Erscheinungen von unterschiedlichen Richtungen aus betrachtet, wiedererkennen.
Der Pfiff aus der Pfeife sei ein Signal für die Robben. Es bedeute, dass sie eine Aufgabe gut erledigt hätten. Ein laut ausgesprochenes „Nein“ dagegen verrate ihnen die Fehlerhaftigkeit ihres Verhaltens, wurde mir dann noch erklärt. Die Kommunikation zwischen Tier und Mensch erfolge auf der Forschungsstation immer über verbale Zeichen und Handzeichen. Ich sah an diesem Abend unheimlich viele davon. Ein Hund kann im Gegensatz dazu kaum einmal „Sitz“ machen und ein Stöckchen holen. Unglaublich also, wie intelligent diese Meereswesen sind.
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Das Marine Science Center auf Hohe Düne ist mit den Abmessungen von 60 x 30 Metern sowie der Meerestiefe von 6 Metern die größte Seehundforschungsanlage weltweit. Sie befindet sich schon seit zwei Jahren an diesem Standort. Die neun Seehunde stammen alle aus Zoos, haben also nie frei im Meer gelebt. Wer sie selbst erleben möchte, kann sie montags bis samstags zwischen 10.00 Uhr und 16.00 Uhr besuchen.
Ich sah der Robbe „Henry“ noch dabei zu, wie sie einem Taucher begegnete, wie sie Bauchklatscher machte und einen roten kleinen Ring apportierte. Schließlich musste ich aber weiterziehen. Meine nächste Station war die Philosophische Fakultät in der Ulmenstraße.
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Dort wollte ich mir eine Vorlesung über kommunikative Regeln, die das Großstadtleben beeinflussen, anhören. Es ginge darum, was passiere, wenn man plötzlich an einer Ampel angesprochen werde und warum man in solchen Situationen so irritiert sei, las ich in der Vorankündigung der Veranstaltung.
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Sucharowski und Bastian Schwennigcke erklärten, was es damit auf sich habe. Als Erstes zeigten sie jedoch einen kleinen Film über eine Szene, die sich an einer Rostocker Ampel abgespielt haben könnte. Er handelte von mehreren Personen, die an einer Straße auf das grüne Ampelzeichen warteten. Einer von ihnen jonglierte mit Bällen. Plötzlich fiel einer seiner Bälle auf die Straße.
Die Kommunikationswissenschaftler erörterten im Anschluss daran, wie vollkommen unterschiedlich die übrigen Personen an der Ampel die Situation eingeschätzt haben könnten.
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Diese sehr verschiedenen Gedanken über die jonglierende Person hätten wiederum großen Einfluss auf ihre Handlungen, wenn plötzlich etwas Unerwartetes passiere. Als ein Ball auf die noch befahrene Straße fiel, sprach beispielsweise nur eine Person den Jongleur an. Die sozialen Regeln, anhand derer Menschen kommunikative Stresssituationen einschätzen, sind demnach äußerst komplex und verschieden. Aufgabe der Kommunikationswissenschaft aber sei es, diesen Regeln dennoch nachzuspüren, so die Wissenschaftler.
Nun hatte ich mir sogar eine Menge an theoretischem Wissen angeeignet. Das Café „À Rebours“ neben der Nikolaikirche sollte der letzte Anlaufpunkt meiner persönlichen „Nacht der Wissenschaften“ werden. Die großartige Literatur des Fin de siècle sollte dort vom Schriftsteller Rüdiger Fuchs zum Leben erweckt werden.
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Das Café ist sehr gemütlich im Stil des Fin de Siècle eingerichtet und, wer hätte das gedacht, „À Rebours“ lautet auch der Titel eines Kultbuchs eben jener Literaturepoche. Der französische Schriftsteller Joris-Karl Huysmans hat es 1884 veröffentlicht. Nebenbei bemerkt, „À Rebours“ heißt ins Deutsche übersetzt so viel wie „Gegen den Strich“.
Rüdiger Fuchs gab eingangs eine Einführung in das Leben und Werk von Joris-Karl Huysmans. Anschließend erklärte er, welch tiefgreifende Auswirkungen der Roman „À Rebours“ auf die moderne Literatur hatte. Der Hauptprotagonist in Sartres „Der Ekel“ sei quasi nur eine konsequente Weiterführung der Hauptgestalt in Huysmans Werk und der berühmte Singer-Songwriter Serge Gainsbourg habe das Buch gar immer bei sich getragen, erfuhr ich.
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Im literarischen Werk wird das Leben des dekadenten französischen Adligen Jean Floressas Des Esseintes beschrieben. In der adeligen gehobenen Gesellschaft kann er bald schon keine Erfüllung mehr finden und so zieht er sich in die Einsamkeit seines extravaganten Hauses am Strandrand von Paris zurück.
Der Schriftsteller, Rüdiger Fuchs, konnte den Roman allen Anwesenden in charmanter und angenehmer Weise näher bringen. Das gemütliche Ambiente des Cafés sorgte obendrein für Wohlbehagen.
Indes war es wirklich eine „lange“ Nacht der Wissenschaften geworden, lang und ereignisreich sowie informativ. Was hab ich nicht alles wieder dazu gelernt? Wohlgestimmt verließ ich also das „À Rebours“ und trat den Heimweg an.