Matthias Politycki: „Jenseitsnovelle“

Der Tod als kalter dunkler See – LiteraTour Nord

27. Januar 2010, von
Möckelsaal im Peter-Weiss-Haus zur LiteraTour Nord
Möckelsaal im Peter-Weiss-Haus zur LiteraTour Nord

Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass Helmut Krausser uns im kalten Möckelsaal des Peter-Weiss-Hauses sein neues Buch vorstellte – und damit begeisterte. Doch das Rennen um den mit 15.000 € dotierten Publikumspreis ist noch nicht entschieden. Am gestrigen Abend gab der fünfte Autor, Matthias Politycki, eine Lesung zu seinem neuen Buch „Jenseitsnovelle“.

Matthias Politycki
Matthias Politycki

Statt der sonst üblichen Sitzgruppen wurden die Stühle diesmal in Reihen aufgestellt – aufgrund der enormen Zuschauerzahl beim letzten Mal vielleicht sowohl eine Maßnahme zur Platzeinsparung wie auch zur konzentrierten Verteilung der Körperwärme. Der große Andrang von der letzten Lesung blieb allerdings aus.

Einleitung und Moderation übernahm wie gewohnt Prof. Lutz Hagestedt von der Universität Rostock. Gleich zu Beginn erzählte er uns von seiner (un)heimlichen Leidenschaft – reduzierten Büchern. Schon damals als junger Literaturkritiker hätte Hagestedt dem Drang zum Kauf heruntergesetzter Exemplare nicht widerstehen können und gelangte so schon früh, mehr oder weniger zufällig, in den Besitz eines dicken Werkes von Matthias Politycki.

Matthias Polityckis „Jenseitsnovelle“
Matthias Polityckis „Jenseitsnovelle“

Bei der Wahl der Autoren zur LiteraTour Nord habe dieser Name dann plötzlich auf der Liste gestanden. Es sei ein „schmales Buch“ und daher „schnell durch“, soll Manfred Keiper argumentiert haben und so ist es kein Wunder, dass wir den sympathischen Autor gestern Abend in Rostock begrüßen durften. Politycki’s neuestes Werk „Jenseitsnovelle“ ist allerdings kein heiteres kurzweiliges Buch, sondern hat viel mehr etwas tiefsinniges, psychologisches. „Auch Bücher, die weh tun, müssen geschrieben werden“, meint der Autor dazu. „Es wird nicht so lustig.“

Prof. Lutz Hagestedt bei der LiteraTour Nord
Prof. Lutz Hagestedt bei der LiteraTour Nord

Zum Verständnis des Buches beginnt er ganz am Anfang der Geschichte. Der Sinologie-Professor Hinrich Schepp, Anfang sechzig, findet seine Frau Doro eines Morgens tot am Schreibtisch sitzen. Zunächst will er ihren Tod nicht wahr haben, sucht dann aber schließlich zwischen den Papierseiten auf dem Tisch nach der letzten Botschaft, die sie ihm hinterlassen hat. Doro, die für gewöhnlich Schepps Texte korrigiert hat, arbeitete zu dessen Überraschung zuletzt an einem längst vergessenen und verworfenen Manuskript.

Statt aber nur die äußere Form zu berichten werden Doros Kommentare im Text immer bissiger, schließlich hatte sie sogar die Namen im Manuskript durchgestrichen und mit ihren eigenen ersetzt. Schepp, der bemüht war, sich nur an das Gute seiner Ehe zu erinnern, wird bald bewusst: hier hat er es mit Doros Abrechnung zu tun. Doch so kann er es natürlich nicht stehen lassen, und versucht dieses Kapitel ihrer Ehe seiner toten Frau gegenüber richtig zu stellen.

Matthias Politycki bei der LiteraTour Nord in Rostock
Matthias Politycki bei der LiteraTour Nord in Rostock

Im Übrigen wäre das Buch gar nicht so kurz, sagt Matthias Politycki im Anschluss. Wenn man es nämlich durchgelesen hätte, müsse man zur Aufarbeitung der Geschichte noch einmal von vorne beginnen. Also 252 Seiten statt nur 126.

In der „Jenseitsnovelle“ spielt der Tod eine entscheidende Rolle. Auf die Frage nach Polityckis Vorstellung vom Jenseits antwortet dieser, er denke da eher „scheppianisch“, könne sich also kein Jenseits vorstellen. Allerdings beneide er jeden, der das könne. Mit dem Glauben verbinde er einen Mangel, eine Grundsehnsucht des Menschen, die nicht durch Konsumsucht oder Fußball ersetzt werden könne. Ein schöner Abschluss für eine gelungene, tiefsinnige Lesung!

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