„Der Schimmelreiter“ im Theater im Stadthafen
Novelle von Theodor Storm in der Bühnenfassung von Kay Wuschek
23. November 2010, von Stefanie
Vielen dürfte Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ wohl aus dem Deutschunterricht bekannt sein. Damals wie heute gehört er zum Kanon der Schullektüre. Ein Klassiker eben, aber für viele wohl ein ziemlich spröder.
Koog, Priel, Fenne und viele andere friesische Landschaftsbegriffe machen ihn gerade für junge Leser nicht einfach zu lesen. „Das Buch hat viel zu viel mit Deichbau zu tun“, meint jedenfalls die dreizehnjährige Sophia. Maria, vierzehn Jahre alt, pflichtet ihr bei und ergänzt, dass auch die alte Sprache schwer zu verstehen sei. Immerhin stammt der Schimmelreiter aus dem Jahre 1888. Die beiden Achtklässlerinnen der ecolea-Schule in Warnemünde „mussten“ die berühmte Novelle gerade erst im Unterricht lesen.

Gemeinsam mit ihrer Klasse besuchten sie am Freitagabend die Uraufführung der Theaterfassung von Kay Wuschek im Theater im Stadthafen. Ob ihnen auf diese Weise „Der Schimmelreiter“ näher gebracht wird? Es muss ja einen Grund geben, warum sich gerade junge Zuschauer, und die waren zahlreich zur ersten Vorstellung erschienen, mit dem Schimmelreiter beschäftigen (sollen).

Immerhin, das zentrale Motiv des Schimmelreiters, den der alte Theodor Storm kurz vor seinem Lebensende verfasst hat, ist eine Gespenstergeschichte. Geschichten von übernatürlichen Phänomenen? Wenn junge Leute Geschichten von Vampiren oder Zauberei mögen, dann muss doch auch der Schimmelreiter etwas für sie sein. Doch dieser Aspekt der Novelle wird in der Bühnenfassung von Kay Wuschek eher am Rande dargestellt.
Im Mittelpunkt steht der Schimmelreiter Hauke Haien und dessen Streben nach Selbstverwirklichung. Eine Aufgabe, mit der sich bekanntermaßen jeder Heranwachsende auseinandersetzen muss. Auf der Suche nach Selbsterkenntnis reflektieren die großen Spiegel auf der Bühne daher nicht nur den Protagonisten, sondern auch das Publikum.

Gezeigt wird die Entwicklung Hauke Haiens vom jungen Sohn eines Landvermessers zum mächtigen Deichgrafen. Zu dem er nicht nur wegen seiner außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten (als kleiner Junge las er den Euklid auf Holländisch), sondern auch durch die Hochzeit mit Elke, der Tochter des alten Deichgrafen, geworden ist.
Ehrgeizig setzt er in diesem hohen Amt seinen Jugendtraum um, einen Deich zu bauen, der der Gemeinschaft dient. Doch ausgerechnet mit dieser Gemeinschaft gerät er ständig in Konflikte. Zuerst mit seinem Vater, der seinen Sohn nicht ernst nimmt, dann mit Ole Peters, der ihm seine Frau und seine Position neidet und schließlich mit der gesamten Dorfgemeinschaft, die sein Konzept nicht akzeptiert.

Als Kind, verliebter Teenie, machtbewusster Mann mit Verantwortung für seine Familie und die Dorfgemeinschaft – die vielen Facetten Hauke Haiens werden durch Stephan Fiedler hervorragend dargestellt. Seine Bühnenpartnerin ist Caroline Erdmann. Sie zeigt ebenfalls sehr überzeugend, wie sich Elke von einem unbekümmerten Mädchen zu einer fürsorglichen Mutter und Ehefrau entwickelt. Die Rolle des Vaters und des Oberdeichgrafen hat Jakob Kraze übernommen. Hauke Haiens Gegenspieler Ole Peters wird von Alexander Flache verkörpert.

Durch ihre intensive Darstellung gelingt es dem Ensemble, das Publikum zu fesseln. Ob heitere oder schaurige Momente, die jungen Zuschauer halten sich mit vernehmbaren Reaktionen wie Lachen und Seufzen nicht zurück. Besonders beeindruckende Szenen werden auch zwischendurch mit kurzem Applaus belohnt.
Nur manchmal geraten die erzählenden Passagen, die teilweise aus dem Off, teilweise von den Figuren übernommen werden, etwas lang. Dafür sorgt junge Musik zwischendurch wieder für etwas Auflockerung.

Maria und Sophia fanden die Aufführung jedenfalls „gut“. „Sie haben das so gut nachgespielt“, erklären sie nach der Vorstellung und loben besonders die Handlung, die sich nicht so sehr auf die Deiche konzentrierte. Für sie war es ein gelungener Abend und „keine Zeitverschwendung“.
„Der Schimmelreiter“, in der Bühnenfassung von Kay Wuschek, der auch Regie führte, ist eine Kooperation des Volkstheatersmit dem Berliner Theater an der Parkaue. Weitere Vorstellungen im Rostocker Theater im Stadthafen gibt es am 27., 29. und 30. November sowie am 11. und 16. Dezember. Später soll das Stück auch in Berlin gezeigt werden.