„A Hart Days Neid“ im Literaturhaus
Uni Rostock & HMT: Ein Abend mit dem Dichter-Komponisten Neidhart
13. Mai 2010, von Olaf
„Bastian, warte! Das klang interessant. Was war denn das? Das hab ich noch gar nicht gehört.“ „So ’n Minnesänger, Neidhart oder so – kennst Du den?“ „Nee, von dem hab ich noch nichts gehört.“
Mit ihrem Musikergespräch eröffneten Max und Sebastian den Dienstagabend im Literaturhaus, an dem uns Studenten der Hochschule für Musik und Theater (HMT) sowie der Uni Rostock den Dichter-Komponisten Neidhart näher bringen wollten.
Wer sich beim Lesen der Überschrift schon voller Entsetzen gefragt haben mag, wie es um meine Rechtschreibung bestellt ist, darf sich entspannen. „A Hart Days Neid“ – ein Wortspiel und auch eine kleine Anspielung, war Neidhart sozusagen doch ein früher Beatle, wie es in der Ankündigung hieß.
Neidhart, 13. Jahrhundert, Mittelalter – gibt es da denn überhaupt Noten? So richtig nicht, erklärte Bastian. Die ersten Aufzeichnungen stammen aus dem 14. Jahrhundert – da war Neidhart schon 100 Jahre tot. Und Noten wären es auch nicht unbedingt, eher „Pünktchen und Häkchen“, die wohl für die Tonhöhe stehen und dafür, ob man aufwärts oder abwärts singt – alles eher vage.
Doch, was ist mit dem Rhythmus? Die einen gehen von einem Dreivierteltakt aus, andere tendieren eher zu einem Sprechgesang, eine Art Mittelalter-Rap sozusagen. Da bleibt viel Platz für musikalischen Spielraum.

Und wer ist dafür prädestiniert, unbekannte Stücke jeglicher Stilrichtungen neu zu interpretieren? Richtig, die Band „Hybrid Cosmics“ ist es. Ein paar Leser dürften sich noch an ihren Auftritt bei der Langen Nacht der Wissenschaften erinnern.
Zum Einstieg gab es eine kleine Zeitreise. Studenten der HMT hatten das Mittelalter in ihre Hochschule geholt und dieses im Video festgehalten. „Hybrid Cosmics“ sorgten für die stilvolle Untermalung im Metal-Stil.
Neidhart – wer war das eigentlich und wie stellt man ihn am Besten vor? Per Film? Natürlich nicht, schließlich waren wir heute im Literaturhaus zu Gast. Also mittels Buch? Wieder daneben.
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Klar, in unserer Zeit stellt man Künstler einfach in einer Talkshow vor. Praktisch natürlich, wenn der Protagonist selbst zugegen ist. Und so hatte die Moderatorin (Manuela Dierck) neben weiteren illustren Gästen auch Neidhart (Thomas Linke) persönlich zu Gast in ihrer neuesten Ausgabe von „Midnight mit Neid“.
Was Neidhart auszeichnet? Als einer der bekanntesten Lyriker des Mittelalters hat er den Minnesang revolutioniert. Weg vom Hofe, ließ er auch das einfache Volk teilhaben – die Dörper, wie er sie nannte. Etwas, das Meister Reinmar (André Marschke) so gar nicht schmecken wollte: „Neidhart, ich bin empört! Etwas so Erhabenes, ein Ritter, der in seiner Rüstung einer Dame seinen Dienst erbietet, mit einem Dörper gleich kommen zu lassen, der um ein paar Küsse von einer Magd winselt.“
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Für Abwechslung sorgte Neidhart zudem mit seinen Sommer- und Winterliedern. „Der Unterschied ist ganz einfach“, so Neidhart, „in den Sommerliedern ist der Liebhaber erfolgreich, er kommt sozusagen zum Zuge. In den Winterliedern muss er zurückstecken.“
Berichtet der Sänger in den Winterliedern selbst von seinem Misserfolg, dürfen in den Sommerliedern die Frauen von den Erfolgen des Künstlers erzählen. Eine Sicht, die es in der klassischen Minne bislang nicht gab.
Und da wäre noch Frau Welt, der Neidhart im von Palaverotti (Matthias Anding) vorgetragenen Winterlied 28 eine Absage erteilt. Ehrerbietige Worte des lyrischen Ichs an die angebetete Minnedame? Mitnichten!
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Boshafte Anschuldigungen gibt es stattdessen: „Schamlose Vagabundin, Lockspalt aller Sündenschmach, freche Herrenhure!“
Winterlieder, Sommerlieder – passend zur Jahreszeit war nun wirklich mal eines der Sommerlieder dran: Nummer 14, rezitiert von Waltraud von der Sommerweide (Juliane Lau).
Doch, halt, stopp kam Protest aus dem Publikum. Das Sommerlied 14 würde sie ganz anders kennen, so Zuschauerin Doreen: „Neulich erst habe ich den Text im Deutschlandfunk gehört und ich bin mir ganz, ganz, ganz sicher, dass es ein anderer Text war.“
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Das Praktische an Talkshows? Für derartige Fragen aus dem Publikum gibt es Experten, wie Prof. Etzelin Hart (Lisa Kranig) – Forschungsschwerpunkte: die Philologie der klassischen Minne und das Rostocker Liederbuch.
Die Vielzahl an überlieferten Versionen von Neidharts Texten mache die Sache nicht unbedingt einfacher, erläuterte sie.
Es würde zwei Ansätze geben. Der klassische Ansatz versucht die Urfassung des Liedes zu rekonstruieren, „so wie Neidhart es einmal gedachtet haben könnte.“ Teile aus den verschiedenen Überlieferungen werden zu einem möglichst authentischen Ganzen zusammengesetzt.
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Die neuere Philologie akzeptiere die Varianz, „dass es von einem Lied mehrere unterschiedliche Fassungen gibt.“ Sie akzeptiere die Varianz nicht nur, sondern stelle die verschiedenen Fassungen sogar ganz bewusst nebeneinander dar.
Und so gab es zum Abschuss noch zwei musikalische Interpretationen des Sommerlieds 14. Zum einen von den „Hybrid Cosmics“, zum anderen wagte sich Sebastian nach dem Auftakt noch einmal an eine sehr gelungene Interpretation (Video bis zum Ende schauen!).
Die Zusammenarbeit von HMT und Uni Rostock hat sich gelohnt. Ein kurzweiliger Abend ist entstanden, der Licht ins düstere Mittelalter und Neidharts Schaffen bringt. Szenische Lesungen, musikalische Interpretationen, eine Talkshow mit illustren Gästen und – nicht zu vergessen – ganz viel Humor.
Für alle, die Neidhart verpasst haben, gibt es an dieser Stelle zumindest ein paar kurze lange Videoimpressionen: