Bertolt Brechts „Das Leben des Galilei“ im Theaterzelt

Eine Koproduktion des Volkstheaters Rostock und des Theaters an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin

16. Oktober 2011, von
Jakob Kraze als Galileo Galilei
Jakob Kraze als Galileo Galilei

Mit dem Studium „lassen Sie sich ein auf die Forderung guter Wissenschaft, Sie trauen sich, Überliefertes zu hinterfragen oder a priori infrage zu stellen, die eigenen Erkenntnisse vorbehaltlos prüfen zu lassen und selbstlos zur Verfügung zu stellen“, mit diesen Worten hatte gestern Vormittag Rektor Professor Dr. Wolfgang Schareck den Erstsemestern bei der Immatrikulationsfeier der Universität Rostock Mut gemacht, „Mut sich für die Wahrheit zu engagieren.“ „Sie müssen … sich trauen, sich auf Neues, auf bisher unbekanntes Wissen einzulassen und das mit unsicherem Ausgang“, gab er den Studienanfängern mit auf den Weg.

Als aktuelles Beispiel zog er den Wissenschaftler Daniel Shechtmann zur Veranschaulichung heran. Erst vor wenigen Tagen wurde er mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Begründung: Er habe das Verständnis von Feststoffen fundamental verändert, so das renommierte Nobelkomitee. Bereits 1982 hatte er die sogenannten Quasi-Kristalle unter einem Elektronenmikroskop entdeckt, Kristalle, die gegen die herrschende Ordnung verstießen. Sein Chef gab ihm daraufhin ein Lehrbuch, worin festgehalten war, dass es so etwas nicht gäbe, und legte ihm sogar die Kündigung nahe. Daniel Shechtmann sah sich anfangs viel Kritik und Spott von teils namhaften Wissenschaftler ausgesetzt, bevor nach und nach auch andere Forscher seine Entdeckung, die in der Chemie als revolutionär gilt, bestätigten.

Ähnlich erging es bekanntermaßen dem berühmten Naturwissenschaftler Galileo Galilei. Auch er hatte gegen etablierte „Wahrheiten“ zu kämpfen. Allerdings drohten ihm im Italien des 17. Jahrhunderts unmittelbar existenziellere Folgen durch sein Beharren auf seine Entdeckungen, die das gängige Weltbild infrage stellten. Er widerrief und forschte weiter. Seine Theorien gelten bis heute als bahnbrechend.

Für den Dramatiker Bertolt Brecht stellt „Das Leben des Galilei“ einen Präzedenzfall dar. Wie passend also, dass die Rostocker Premiere des in der Mitte des letzten Jahrhundert entstandenen Theaterstückes just am Tag der Immatrikulationsfeier der Universität stattfand.

Caroline Erdmann als Galileis Tochter Virginia und Jakob Kraze
Caroline Erdmann als Galileis Tochter Virginia und Jakob Kraze

Am Abend hatte die Koproduktion des Volkstheaters Rostock und des Theaters an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin fast 400 Gäste ins Theaterzelt gelockt. Inszeniert wurde das Theaterstück von Kay Wuschek, der bereits im letzten Jahr die Regie des Schulklassikers „Schimmelreiter“ von Theodor Storm übernahm.

Höchst dynamisch hat er Brechts episches Stück auf die rot-weiß gestreifte Bühne gebracht. Auf mehreren Podesten huschen die Schauspieler hin und her, hoch und runter, nach vorn und zurück und schaffen so Distanz und Ordnung zwischen Galilei, seiner Familie und den Gelehrten und Kirchenvertretern. Auch der Zuschauerraum wird mit einbezogen, die Zuschauer direkt angesprochen. Mit viel Text und kräftigen Stimmen, die leider viel zu oft gegen anhaltende Hintergrundgeräusche außerhalb des Zeltes ankämpfen müssen, staunen, spotten und verzweifeln die Schauspieler. Zügigen Schrittes kommen und gehen sie, wechseln die teilweise schrillen Kostüme von Angelika Wedde. In einer Szene, in der ursprünglich Masken auf einem Ball getragen wurden, ziehen die Herren sogar blank. Zum Amüsement des Publikums, dem auch sonst einige komische Szenen geboten werden.

Aber nicht nur dem derben und spottenden Schelm, sondern auch dem Pädagogen Brecht wird die Inszenierung gerecht. Mit Unterstützung eines inspirierten Ensembles, zu dem auch bemerkenswerte Kinderdarsteller gehören, zeigt Jakob Kraze in der Hauptrolle den Kampf Galileis für seinen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt entgegen dem Eingriff kirchlicher Instanzen und auch materieller Nöte. Denn trotz aller Vernunftbegabung ist auch der Wissenschaftler ein Mensch mit Eitelkeiten und sinnlichen Bedürfnissen.

Seine Kleidung: Ganz in Unschuldsweiß, mit Cowboy-Schlaghosen, legerem Unterhemd und spärlichem, aber wallendem Haar um seine Halbglatze, unterstreicht das Bild eines unkonventionellen Eigenbrötlers, der vor allem durch klare Argumentationen überzeugt. Vielleicht kommt Krazes Galilei einen Tick zu sympathisch und selbstsicher rüber, gerade auch angesichts der teils ins komische überzeichneten Charaktere aufseiten des Klerus. Ihr Verhalten bringt die Absurdität, mit der neue wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehalten und Forscher diskreditiert werden sollen, auf den Punkt.

Auch wenn sich die Kirche mittlerweile offiziell zurückgenommen hat, so ist der Wissenschaftsbetrieb heutzutage dennoch nicht frei von fragwürdiger Einflussnahme, wie Anspielungen in der Inszenierung „Das Leben des Galilei“ auch verdeutlichen.

Die nächste Aufführungen finden am 22. und 29. Oktober, am 12., 13. und 26. November sowie am 9. Dezember im Theaterzelt statt.

Fotos: Dorit Gätjen, VTR

Schlagwörter: Bertolt Brecht (1)Theater (205)Theaterzelt (19)Volkstheater (250)