„Die young or live forever“ auf der Bühne im PWH
Neues Stück der Freien Theater Jugend bringt Frank Wedekinds „Kindertragödie“ in ein neues Gewand
12. Januar 2012, von Andre
Erst Vergewaltigung und Mord, dann eine Aufarbeitung von Lichtenhagen 92 und zuletzt Terrorismus in Deutschland. Die Freie Theater Jugend hat keine Angst vor großen Stoffen. Da verwundert es auch nicht, dass „Die young or live forever“, ihr neustes Stück, wieder Stoff für reichlich Diskussionen bietet. Nach einer Filmadaption und zwei eigenen Stücken wagt sich die Gruppe nun erstmals an ein schon bestehendes Theaterstück, jedoch nicht ohne es stark zu verändern.

Das Originalstück von Frank Wedekind erschien 1891 unter dem Titel „Frühlings Erwachen.“ Der Autor selbst bezeichnete das Stück als Kindertragödie und sorgte für große Empörung unter damaligen Zeitgenossen. Wedekind zeigte drei junge Menschen und ihre Probleme: Melchior und Wendla machen erste sexuelle Erfahrungen miteinander, was zu einer Schwangerschaft führt und Moritz zerbricht unter Leistungsdruck und begeht Selbstmord. Besonders die Elternrollen werden kritisch gezeigt.

Christof Lange, der Leiter der Freien Theater Jugend, hat das Stück unter Einbeziehung einer Neuinterpretation von Nuran David Calis für Rostock relativ stark verändert. „Ich habe bei ‚In meinem Himmel‘ gelernt, dass es befremdlich wirkt, wenn junge Menschen alte Figuren verkörpern sollen. Daher haben wir alle Erwachsenenrollen gestrichen.“ Stattdessen gibt es nun von jeder der Figuren ein jüngeres und ein älteres Ich, die immer wieder Zwiegespräche führen und die eigenen Handlungen kommentieren.

Zwar treten bei Wedekind auch noch weitere Jugendliche auf, doch diese spielen nur Nebenrollen. Für Rostock wurden vier davon weiter ausgearbeitet, mit Problemen versehen und zu Hauptrollen gemacht. Hans (Lukas Gabriel/Alex Friedland) ist schwul und wird deswegen von Ernst (Artur Büttner/Henning Goll) gehänselt, der selbst nur unfähig ist, seine wahren Gefühle zu ergründen. Ilse (Nele Rolfs/Anna Lucie Wegener) gibt sich nach außen hin stark und dominant, ist innerlich aber sehr verletzlich und Martha (Lucy Alison Lauer/Sophie Uloth) wird von ihren Eltern geschlagen. Und auch die Probleme von Wendla (Lea-Marie de Boor/Ulrike Page), Moritz (Felix Bengelsdorf) und Melchior (Pierre Schwoch/Albrecht Pelz) haben keineswegs an Aktualität verloren.
Das Stück ist sehr fragmentarisch und eine zentrale Geschichte tritt in den Hintergrund. Vielmehr werden Figuren gezeichnet, sowohl allein, als auch in Beziehung zueinander. Szenen, Momente und Gefühle werden eingefangen und über allem steht irgendwie die Suche nach dem Sinn und dem eigenen Ich. Es werden die Fragen gestellt, die sich jeder wohl schon mal gestellt hat: Warum bin ich hier, was wird aus mir und wie fühle ich?

„Wir wollen, dass die Zuschauer bei uns ertragen müssen“, sagt Christof. Und es ist auch wirklich kein leichtes Stück. Da werden die Probleme nicht hinter der Bühne versteckt, sondern offensiv gezeigt. Und auch die Art der Darstellung ist gewohnt explizit und teilweise schwer zu ertragen. Das kann für einige Zuschauer zu viel sein, zwingt einen aber, sich mit dem Thema intensiv zu befassen. Kombiniert mit einem spannenden Einsatz von Licht und Schatten, einer passenden Musikauswahl, tollen Kostümen und großartigen Leistungen der 13 Schauspieler zwischen 15 und 24 Jahren hat die Freie Theater Jugend wieder ein sehr intensives, aber auch schweres Theatererlebnis geschaffen.
Am Freitag feiert das Stück Premiere im Peter-Weiss-Haus, an den zwei Folgetagen gibt es weitere Vorstellungen. Tickets können über die E-Mail-Adresse: freietheaterjugend[at]googlemail.com reserviert werden. Bis in den Frühsommer wird es insgesamt zehn Vorstellungen geben und ab Februar wird dann auch, passend zum 20. Jahrestag von den Ereignissen in Lichtenhagen, das Stück „Bis zum Anschlag“ wieder aufgeführt.